Mittlerweile habe ich gut 100 Partien Netrunner hinter mir, sogar ein privates Turnier im Freundeskreis bestritten, und sehe mich so zuversichtlich in der Lage ein fundiertes Urteil über das Kartenspiel abgeben zu können. Eine kurze und knappe Einführung in die Mechanik habe ich bereits in meinem Video über Living Card Games abgedreht, welches Ihr hier noch einmal einsehen könnt.
Zur Sache: Netrunner ist meiner Meinung nach das mit Abstand beste Sammelkartenspiel/ Living Card Game jemals (ja, besser als Magic etc.) und ein Geniestreich in dieser überarbeiteten Version und dem LCG-Format neu aufgelegt zu werden! Völlig zu Recht ist es nach kürzester Zeit auch bereits in den Top 10 auf Board Game Geek.

Das asymmetrische Spielkonzept bietet zahlreiche Spielstile und ist dabei unglaublich gut ausgeglichen. Sehr schnell hat man eine erste eigene Meinung zu den Karten und meint das Spiel durch und durch verstanden zu haben, nur um diese Sichtweise eine Woche später wieder komplett zu verwerfen – bis man schließlich den Wert und Nutzen jeder einzelnen Karte zu schätzen gelernt hat; Gute Spieler können mit jeder Karte etwas anfangen und trotzdem universelle Decks bauen, die gegen jeden Gegner eine gute Siegchance aufweisen. Diese Optionen sind dabei alleine mit dem Grundspiel immens, werden aber, so viel sei vorgegriffen, mit den regelmäßig erscheinenden Zusatzkarten wieder durcheinandergewirbelt, sodass ganz anders an die bisherigen Karten herangegangen werden muss. Kein anderes Sammelkartenspiel bietet aber umgehend derart viele und vor allem wirklich sinnvolle Deckbauoptionen alleine aus der Grundbox heraus: 7 Parteien plus neutrale Karten, die aber zusätzlich auch Karten aus den jeweils anderen Fraktionen nach einem übersichtlichen Punktesystem in ihr Deck übernehmen können. Daraus resultieren so viele Möglichkeiten, dass ich erst etwa jetzt, nach meinen geschätzt 100 Partien, behaupten möchte die Karten des Grundspiels mehr oder weniger „durch“ zu haben – was nicht bedeutet, dass die Partien selbst keinen Spaß mehr machen würden.
Diese sind tatsächlich immer sehr spannend, selbst sogar wenn ich mein und das Deck meines Gegners in und auswendig kenne. Anders als andere derartige Kartenspiele weicht Netrunner von einem typischen Zugablauf „Karten ziehen, Karten spielen, angreifen“ ab und basiert auf einer Art Aktionspunkte-System, welches eine weitgehend freie Zuggestaltung und damit beispielsweise mehrere Angriffe zu verschiedener Zeit erlaubt. Wir haben es somit technisch eher mit einem komplexen Brettspiel als einem gewöhnlichen Sammelkartenspiel zu tun. Neben dem definierenden Konzept, nämlich Agendas für Punkte zu verstecken bzw. aufzuspüren, gibt es zahlreiche andere Spielmechaniken zu bedenken. So gibt es Bluffmechaniken um den „Runner“ (Angreifer) in eine Falle zu locken, verschiedene Schadensarten die das Spiel bei riskantem Spiel vorzeitig enden lassen können, oder so genannte „Tags“, bedrohliche Markierungen auf dem Runner, welche durch teure Verfolgungsverfahren zwar schwer aufrechtzuerhalten sind, dafür aber eine Voraussetzung für besonders gemeine Karteneffekte sind. Jedes Spiel verläuft anders und verlangt konstantes Mitdenken – Wartezeiten gibt es überhaupt nicht. Münden andere Kartenspiele nach einiger Zeit oft in ein eher „stumpfes Runterspielen“ der eigenen Hand mit mehr oder weniger offensichtlichen Entscheidungen, so verlangt Netrunner immer ein Reagieren auf die jeweilige Situation und bezieht auch psychologische Faktoren wie Bluffs mit ein, und hebt sich damit deutlich von der „Konkurrenz“ ab. Glückskomponenten wie grundsätzlich das Kartenziehen oder das glückliche schnelle Finden von Agendas als Runner sind zwar vorhanden, aber kalkulierbar. Oft machen gerade diese aber auch den besonderen Nervenkitzel aus: Mehrmals musste ich auf unserem Turnier mein Herz beruhigen – natürlich ohne mir etwas anmerken zu lassen. Über mehrere Partien wird ein guter Spieler einen schlechteren ganz klar dominieren, bis zu einem Punkt völliger Machtlosigkeit. Ich schätze den Glücksfaktor mittlerweile wesentlich geringer als bei anderen Sammelkartenspielen ein, auch wenn das zu Beginn ganz anders wirkte.
Kurzum: Wer mit dieser Art Spiel etwas anfangen kann, sollte sofort alles andere liegenlassen und zuschlagen! Ein Grundspiel reicht dabei zum Deckbau völlig aus, ein zweites brauchen nur Turnier- und Vielspieler, welche besonders effiziente oder mehr als zwei Decks gleichzeitig zusammenstellen möchten. Erweiterungen enthalten jede Karte 3 Mal, sodass auch von diesen immer nur eine einzige angeschafft werden muss – ein sehr faires System! Ich werde Netrunner weiterhin spielen und Euch auf dem Laufenden halten. Seid dabei und erwerbt das gute Ding hier.